„Strip-Klub oder kein Strip-Klub?“…

…war die Frage, die unsere kleine Litauen-Reisegruppe sich kollektiv und unwillkürlich stellte, als wir die etwas eigenartige Bar mit den zwei Tanzstangen gleich neben unserem Hostel betraten. Die Antwort darauf fiel eher hybrid aus…

Die Technomusik ist voll aufgedreht. Die Damen und Herren der litauischen Schöpfung scheinen völlig mitgerissen. Fast schon agressiv fröhlich werfen sie ihre Hände in die Luft, mit einem verzückten Lächeln auf den Lippen. Die Jungs im dezenten Rapper-Look oder halb-schicken Anzügen. Die Mädels im kurzen Schwarzen, Roten oder auch Blauen. Geschminkt wie für den Schönheitswettbewerb sind sie, und genauso wie die Jungs haben sie Bierflaschen oder Vodka-Gläser in der Hand.

Alle scheinen sie eine große Familie.

Warum dem so ist, wird mir bewusst, als unsere Gruppe die Tanzfläche betritt. Mein Blick fällt auf ein Mädel und einen ihr scheinbar fremden Tanzpartner, der sich ihr gerade nähert. Die Lippen der beiden treffen aufeinander und verlieren sich in einem wilden Zungenkuss.

Der Aufeinanderprall zweier weiterer, sich anscheinend bisher auch nicht kennender Lippenpaare ein Meter weiter verläuft weniger harmonisch. Während er beherzt drauflos küsst, behält sie die Augen offen, überlegt kurz mit hochgezogenen Augenbrauen und dreht dann den Kopf zur Seite. Anstelle des jungen Mannes bevorzugt sie die blonde junge Frau einen Meter weiter, die sich auch erfreut von den neu getroffenen Lippen mitreißen lässt.

Zu unserer Rechten tanzen derweil zwei Mädels in gesittetem Abstand miteinander. Weniger gesittet ist der junge Mann, der sich einer der beiden von hinten nähert und sein Vorder- ihrem Hinterteil entgegenpresst. Begeistert scheint die Dame davon zwar nicht, aber stören tut sie es wohl auch nicht. Und so spricht und tanzt sie friedlich mit ihrer Freundin weiter, wird nur zwischendurch von dem sich gegen sie reibenden Körper etwas aus dem Takt gebracht. Nach ein paar Minuten hat der Loverboy dann auch genug von der nicht geschenkten Aufmerksamkeit, hält kurz inne, scannt die Tanzfläche mit seinem Blick und ist schon auf dem Weg zum nächsten potenziellen Opfer…

Und mittendrin unsere kleine Gruppe aus sechs Leuten. Fröhlich hüpfen wir mit zur Technomusik – auch wenn wir von dem Spektakel um uns herum nicht wenig abgelenkt sind.

Die andere Hälfte unserer Reisegruppe hat es sich schon in den Hostelbetten gemütlich gemacht. Das ist bizarrerweise sprichwörtlich nebenan – man muss nur den Flur hinuntergehen und schon steht man vor der Hosteltür. Die ist wie ein Tor zu einer anderen Welt aus frisch gestrichenen weißen Wänden mit Beatles-Postern und erst vor kurzem verlegten Teppich. Sobald man die Hosteltür hinter sich zuzieht, verebbt die dröhnend laute Technomusik schlagartig. Gerade aufgemacht hat unser vorübergehendes Heim – in den Bädern hängen noch keine Spiegel und an den Fenstern keine Vorhänge (was bei einem Sonnenaufgang um halb fünf zu sehr kurzen Nächten führt…). Hier verbringen wir etwa die Hälfte unseres Roadtrips, den wir gemeinsam – und zum großen Teil ohne, dass wir uns vorher jemals begegnet wären – durch Litauen unternehmen. Im Anschluss an die Hochzeit von Jinnan und Vismante, eines Australiers und einer Litauerin, mit denen wir alle befreundet sind.

Doch zurück zum tanzenden Mittelpunkt. Dort nnnz-nnzt es noch immer, und auch unsereins sorgt inzwischen für Spektakel – genauer gesagt unser indischer Freund Rajaaa. Eine von mir eher als Spaß gemeinte Herausforderung nimmt er plötzlich an – und stürzt sich wild auf eine der Tanzstangen, an die er sich nun während der nächsten drei Minuten begeistert anschmiegt…

Während Raj‘ sämtliche Bollywood-Tänzer blass erscheinen lässt, spielt sich gleich neben ihm eins der anderen, nun schon fast gewöhnlichen Spektakel der Bar ab. Ein vom Körperbau Popeye nicht ganz unähnlicher junger Mann (im Bild nur mit dem rechten Arm zu sehen) dreht sich zunächst nach hinten rechts den Lippen einer jungen Frau zu, die er genüßlich ansaugt. Dann setzt er ab, dreht sich zur Kamera, macht die Schumacher-Daumen, dreht sich nach hinten links und lutscht an den Lippen des jungen Mannes hinter ihm. Und das alles innerhalb von etwa zwei Minuten.

Nachdem meine Bauchmuskeln sich von den Lachkrämpfen (eher hervorgerrufen von Raj‘ und weniger von Popeye) erholt haben, mache ich kurz Pause. Ich steuere auf die öffentlichen Toiletten zu, gleich neben unserer Hostel-Tür. Dort flirtet grade ein etwa 1,60m großer Mensch mit langer Nase und ohne Haare, weiten Baggy-Jeans und Lederjacke mit seinem Spiegelbild. Aber sowas von! Während er sich selbst zunickt, hebt er kurz die Baseball-Kappe von seinem Kopf (die nur auflag, aber nicht wirklich saß), dreht sie leicht, setzt sie wieder ab. Dann bewegt er die Schultern in Boxer-Manier, stellt den Jackenkragen auf, setzt ihn wieder ab. Er dreht sich leicht um die Achse, um sein Profil besser im Spiegel bewundern zu können. Er lockert seine Hose leicht, die rechte Hand liegt gefährlich nah am Schritt auf dem unteren Teil seines Bauches. Und die gesamte Zeit lässt er sich selbst nicht aus den Augen. Von Zeit zu Zeit heben sich seine rechte Augenbrauen, er wirft sich selbst angedeutete Küsse zu und immer wieder dieses Kopfnicken, dass das Spiegelbild natürlich prompt erwidert.

Nach getaner Arbeit (aber ohne, dass er auf den Toiletten auf Toilette gegangen wäre – ich habs genau gesehen!) läuft er in leicht tänzelndem Schritt in Richtung Tanzfläche.

Wie magnetisch angezogen folge ich ihm, ganz verdattert und gespannt auf die Fortsetzung dieses Spektakels.

Im Klub selbst angekommen bleibt Romeo kurz am Rande der Tanzfläche stehen, überblickt die Lage. Dann greift er tief in seine Baggy-Taschen, zieht ein Bündel Geldscheine heraus und verteilt sie in fächerartig in seinen Händen. Er setzt ein zahnlückiges, breites Grinsen auf und läuft in seinem beschwingten Hüpfgang auf eine Gruppe aus fünf Jungs und Mädels zu. Als die ihn erblicken, öffnen sie jubelnd den Kreis und es gibt ein Gruppenkuscheln. Drum herum das gewohnte Spektakel.

Es ist fünf Uhr morgens. Zeit, ins Bett zu gehen. Vor einer halben Stunde ist die Sonne aufgegangen.

L.

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About Lisa (ich selbst)

Huhu! Ich bin Lisa. Seit 2005 wohne ich nun im schönen, kleinen Paris. Schön ist's hier, nette Leute gibt's und viele lustige Dinge passieren. Aber - lest doch einfach selbst... L.