Panzerknacker…

 …könnt ich werden, wenn es mit dem Journalismus dann doch irgendwann nicht mehr klappt. Meine ersten Schritte in diesem zukunftsträchtigem Karrierezweig habe ich neulich gemacht. Ein ganz klares Erfolgserlebnis.

 

Ich verliere eigentlich keine Schlüssel. Das passiert mir nicht. Nie. Dazu bin ich viel zu paranoid darum besorgt, sie eben nicht zu verlieren. So dachte ich neulich, als mein Roller- samt Rollerschloss-Schlüssel in unerklärlicher Weise auf dem Weg von meiner Maschine vor der Tür in meine Wohnung im 6. Stock verloren gingen, sie würden schon wieder auftauchen. Irgendwo in meinem Apartment, unter einem Buch, in einer Seitentasche, neben dem Sofa würde ich sie wiederfinden. Wie von einer unsichtbaren Hand gesandt. Genau.

Nach zwei Wochen des Wartens auf Godot, gab ich schließlich auf und suchte nach Alternativen. Das Problem: der Schlüssel zum externen Sicherheitsschloss – mein Einziger! Vom Rollerschlüssel habe ich noch zwei Exemplare.

„Nee, den kann man nicht einfach nachmachen – nicht, wenn Sie keine Seriennummer oder wenigstens die Marke ihres Schlosses haben“, sagt mir der erste Schlüsselmeister, den ich mit meinem Problem konfrontiere. Doch die Marke meines Rollerschlosses steht leider nicht obendrauf. Geschweige denn die Seriennummer.

Die Alternative? „Dann müssen sie das Schloss eben aufsägen“, meint er. „Gehen Sie doch mal zu einem Schlosser in Ihrer Nähe – die haben normalerweise Kreissägen oder so etwas. Oder fragen sie die Nachbarn.“ Ich denke an mein Haus voller anonymer Wohnungen, deren Bewohner ich nicht kenne. Und stelle mir vor, wie ich von Wohnung zu Wohnung gehe und frage „Hätten Sie vielleicht mal ne Kreissäge?“.

Dann entscheide ich mich für Option Nummer eins.

„Säge? Nee, sowas hab ich nicht“, sagt der Mann im blauen Anzug in seinem Laden unter der Erde in der Metrostation. „Mit Schlüsseln muss man halt aufpassen. Man sollte sie nicht verlieren.“ Achso?, sage ich im Geiste, danke ihm kurz und kehre zurück in meine leere Wohnung, in der mich immer noch kein Rollersicherheitsschloss-Schlüssel frohlockend begrüßt.

Doch der weiße Ritter auf seinem strahlend weißen Schimmel ist nicht mehr fern: Xavier, ein Freund von mir, erklärt sich bereit, mit seiner professionellen Kreissäge, geeignet für Metall, da normalerweise benutzt zum zurecht sägen von irgendwelchen Inline-Skate-Schienen, in seinem braunen Renault angeritten zu kommen.

Und so taucht er denn auf, Freitag Abend gegen neun Uhr. „Aufsägen musste aber selbst – ich will ja nicht im Knast landen“, sagt er. „Achso, und Du hast etwa 15 Minuten, dann muss ich weg…“

Mit doppelt mulmigem Gefühl im Magen stecke ich das Kabel in die Steckdose des Cafés an der Straßenecke. Als ich dort vorher nach Erlaubnis gefragt und versichert hatte, dass es auch ganz ehrlich mein Roller ist, den ich da von seinen Ketten befreien würde, hatte ich nur müde, gleichgültige Blicke geerntet.

Wieder zurück am Tatort rüste ich mich aus mit Schutzbrille, quietsch-orangenem Ohrenschutz, stehe breitbeinig halb auf dem großen Boulevard, halb auf dem Bürgersteig und setzt die laut kreisende Säge auf meinem Schloss auf. Die Funken fliegen in alle Richtungen, ich setze an, setze ab, habe schon fast Spaß an meiner neuen Panzerknackerkarriere. Dutzende von Autos fahren an uns vorbei. Passanten schauen uns kurz an, dann aber auch schon wieder weg. Auf der anderen Straßenseite hat sich eine Gruppe von Leuten auf einer Bank niedergelassen. Sie gucken zu uns herüber. Halb interessiert, schier aus Mangel an anderen Gesprächsthemen, sitzen sie da, fast regungslos.

Nur wenige Minuten später habe ich den Kampf gegen den Kettendrachen gewonnen. Der Säge sieht man es an – „Du hättest nicht gleich so fest aufdrücken sollen“, meint Xavier leicht vorwurfsvoll. „Ich dachte eben, ich müsste mich beeilen“, antworte ich leicht beschämt…

Doch beide sind wir erstaunt – darüber, wie leicht mein schweres Roller-Sicherheitsschloss zu durchsägen ist. Und darüber, wie wenig Aufmerksamkeit meine Panzerknackaktion doch erregt hat. „Es hat noch nicht einmal jemand eine Frage gestellt“, meint Xavier mit ungläubigem Blick.

„Nee“, meine ich leicht enttäuscht. „auf die Pariser kann man sich in Sachen Roller-Überwachung nun wirklich nicht verlassen…“

L.