Die Hochzeit meiner besten Freundin…

…war perfekt vorbereitet. Bis auf ein kleines Details: mich, ihre Katastrophen-Trauzeugin.Schuld bin ja eigentlich nicht ich, sondern das hier:

Eine für meine Freundin völlig gewöhnliche Szene am Küchentisch: Pü, alias Sophie, was Connys und Philipps rund einjährige Tochter ist, verweigert die Nahrungsaufnahme. Die 30 Minuten Gejammer und Geweine zuvor – da hungrig – sind schier vergessen.

Voller Inbrunst presst das kleine Persönchen nun die Lippen zusammen und schüttelt den Kopf. Erst als Philipp und ich abwechselnd auf unseren Stühlen hoch und runter hüpfen, Grimassen schneiden, „Huhu“ schreien und ähnliche, nicht ganz unserem Alter angemessene Kunststücke aufführen, entspannt sich das Wonneproppen-Kind. Für einige Sekunden starrt es uns staunend an – natürlich ein Ausdruck stummen Beifalls und Bewunderung und keinesfalls eine „Was um Himmels willen sind denn das für Clowns?“-Miene…

Wie auch immer, Pü öffnet kurz den Mund, gerade lang genug, damit Conny mit einem lauten „Hmmmm“ den Löffel Möhrenbrei mit Huhn hineinschieben kann.

So geht das gefühlte 30 TAGE lang, bis Frau Pü endgültig den Brei verweigert und aus dem schwarz-weiß karierten Kinderstuhl gehoben wird. Philipp trägt sie eine Zeit lang durch die Wohnung, dann müssen Conny und Philipp plötzlich noch mal eben etwas durchsprechen und drücken mir das Ümmelpü auf den Arm. Leicht hilflos trage ich es in der Küche hin und her, tröte dann die nächsten 20 Minuten fröhlich „Iaaaa„, „Quaaak“ und „Wihii“ vor mich hin, bis mein neues Lieblings-Baby endgültig das Interesse an mir und den Tierbildern vor uns verliert, ein ohrenbetäubendes „Mamaaaa“ von sich gibt und losweint.

Am Ende des Tages liege ich erschöpft auf der Couch, mein Bett für diese vorletzte Nacht vor der Hochzeit, bevor die Braut und ich in eine Hotelsuite umziehen. Mit dem Bräutigam wird die Braut erst am Tag der Zeremonie wieder vereint.

Und als ich so da liege, verspüre ich ein leichtes Ziehen im Rücken… Ich denke mir nur: „Normal, schließlich habe ich den ganzen Tag lang – ungewohnten – Sport mit Pü gemacht“ und entschlummere sanft.

Doch am nächsten Morgen sind die Schmerzen nicht weg, sondern werden stärker und stärker.

Abends lege ich mich früh ins Bett, nehme zwei Dolipran und versuche, zu entschlummern. Doch so richtig funktioniert nicht, und als Conny gegen zwölf mit ihrer Cousine Ute reinkommt, ist aus dem leichten Stechen ein brennender Schmerz geworden. Ich humpele auf die beiden zu und frage Conny mit schmerzverzerrtem Blick, ob sie wohl noch eine Dolipran hat. Da greift Ute (eine gelernte Pharmazeutin) meine Hand, guckt mich mitfühlend an und meint, „Lisa, ich glaub, Du hast einen Hexenschuss oder sowas“.

Kurze Zeit später liege ich mit sich zusammenkrampfenden Rückenmuskeln auf dem Boden. Meine Beine sind auf dem Bett abgestützt, die Braut hält mit besorgtem Blick meine Hand. Ute ruft einen Krankenwagen.

Und während ich so vor mich hin vegetiere, bricht Conny auf einmal in Lachen aus. „Sorry“, meint sie und auch ich muss lachen – was die Schmerzen in meinem Rücken zunächst verzehnfacht und dann leicht abschwächt (der Entspannungseffekt scheint den Krämpfen entgegenzuwirken). „Aber das ist einfach zu skurril – so hab ich mir das nun wirklich nicht vorgestellt…“

Wenige Minuten später kommen die Rettungsmänner durch die Tür. Einer von ihnen – jung und gutaussehend, doch gerade ein Einfamilienhaus bauend (wie ich später erfahre) und deswegen wohl doch kein potenzielles Opfer (wo kriegt die Bravo nur immer ihre Traum-Lovestories her? Eine bessere Vorlage als „Sie trafen sich bei einem (Nicht-)Bandscheibenvorfall vor der Hochzeit“ gibt es ja wohl kaum…) – setzt sich auf die Bettkante und fragt besorgt „Na, was haben wir denn für Schmerzen?“. Ich beschreibe es, während weitere Krampfblitze meinen Rücken durchfahren. Die zwei jungen Retter heben mich schwupps auf ihre Trage (die ich übrigens irrtümlicherweise immer wieder Bahre nenne).

Als ich an der Rezeption vorbeigefahren werde, sieht das Personal hinter der Theke nur meinen rechten Arm unter dem Laken hervorwinken. Ich rufe kurz „Tschühüss“ und es geht rein in meinen ersten (!) Rettungswagen, in dem selbst im Patienten-Teil Musik zu hören ist.

Im Krankenhaus angekommen, erlebe ich allerdings den Zahnarzt-Effekt: Die vorher höllischen Schmerzen sind so gut wie abgeebbt, ich kann wieder laufen, Bandscheibenvorfall– und Nierencholikdiagnose sind negativ. So dass irgendwann, gegen halb drei Uhr morgens – Ute hat übrigens die ganze Zeit über tapfer die Stellung gehalten – der gutaussehende, junge Chirurg durch die Tür gerauscht kommt und sagt: „Frau Louis, Sie sind ein so unauffälliger Patient. Wir können nun wirklich nichts mehr für Sie tun.“ Dann drückt er mir Schmerztabletten und ein muskellösendes Mittel in die Hand und eh ichs mich verseh, sagt er „Auf Wiedersehen“, und Ute und ich, die ich noch immer im (wenigstens brandneuen) Schlafanzug bin, nehmen ein Taxi in Richtung Hotel.

An Hotel-Rezeption angekommen frage ich kurz nach einem neuen Schlüssel – mit dem Satz „Ich weiß nicht, ob Sie sich erinnern, aber ich wurde hier eben auf einer Bahre..äh…Trage hinausgefahren – da hab ich doch glatt meine Zimmerkarte vergessen…“ Oben treffen wir Conny, die selbst jetzt, um halb drei Uhr morgens, noch immer aufrecht im Bett sitzt. „Ich bin völlig durch den Wind“, sagt sie und guckt uns mit müden Augen an. „Ich war sogar im Schlafanzug unten an der Bar ein Bier kaufen.“ Drei Stunden Schlaf für die Braut vor der Hochzeit – und alles wegen mir.

Den schönsten Tag ihres Lebens hatte sich Conny irgendwie anders vorgestellt. Ich mir übrigens auch: nur die Schmerzmittel retten mich über den Tag. Selbst wenn ich abends ein noch besseres Mittel gegen Rückenschmerzen finde: tanzen. Das mache ich dann auch, gleich neben meiner Lieblings-Braut. Bis sechs Uhr morgens.

L.