„Die Elsässer sind etwas speziell“…

… hatte mich der Direktor meiner nun ehemaligen Schule vorgewarnt. Eine Warnung, die ich wohl besser hätte ernst nehmen sollen.

„Fahrscheine bitte!“ Der Schaffner bewegt sich langsam auf meine Sitzreihe zu. Brav halte ich mein elektronisches Ticket bereits in der Hand, warte auf sein Abstempeln. Doch statt Stempel ernte ich nur ein Stirnrunzeln, dann ein kurzes „Äh, was ist das?“. „Äh, mein Ticket…?“ antworte ich, fragend. „Nein“, sagt er bestimmt. Dann er liest er laut und deutlich (die Fahrgäste am anderen Ende des Waggons könnten ja sonst eventuell nichts davon mitbekommen!!!), was auf meinem elektronischen Nicht-Ticket steht: „Ce document n’est pas un titre de transport. Avant l’accès au train, vous devez retirer vos billets en France sur une borne libre service avec votre identifiant ou votre référence dossier. “ (Dieses Dokument ist kein Fahrschein. Bevor Sie in den Zug steigen, holen Sie Ihre Tickets an einem Automaten in Frankreich ab – mit ihrer Identifikations- oder Reservierungsnummer.)

„Tja, wer lesen kann, ist klar im Vorteil„, sage ich leise und laufe puterrot an. Dann füge ich entschuldigend hinzu: „Äh, das hab ich nicht gesehen – sonst fliege ich ja immer oder fahre mit der Deutschen Bahn. Und da bekommt man die Tickets per Email, zum Ausdrucken …“

Doch der gute Mann mit der SNCF-Kappe auf dem Kopf will meine Entschuldigung nicht hören. Knallhart sagt er: „Tja, da muss ich Ihnen jetzt ein anderes Ticket ausstellen.“ Dann fügt er beschwichtigend, mit einem freundlichen Lächeln hinzu (er ist wohl geschockt von meinen urplötzlich absackenden Gesichtszügen): „Das alte Ticket können Sie aber zurückgeben – so zahlen Sie nur die Differenz von in diesem Fall 20 Euro.“ (einen Zugaufpreis von 10 Euro plus 10 Euro Ermäßigung, die mein Arbeitgeber bei seiner Agentur auf das Ticket bekommen hat – und die stehen mir im Zug natürlich nicht zu)

Ich nicke, schluckend, und sehe ihn stumm meine Kreditkarte mit 100 Euro belasten. Selber doof, denke ich. Für den Rest der Reise suhle ich mich in meinem Elend.

***

„S’il vous plaît?“ begrüßt mich die Dame am Schalter auf elsässische Art und lächelt freundlich.

„Äh, ich wollte mein Ticket zurückgeben“, sage ich und erkläre ihr die Situation.

„Ja, das ist logisch. Bei uns kommen sie nicht damit durch, ohne Ticket zu fahren“, kommentiert sie daraufhin schnippisch und lacht schrill.

„Aber“, versuche ich mich zu verteidigen, „ich wusste doch nicht, dass …“

„Ooooh, sie wusste es nicht“; singt die Dame, lacht wieder schrill, grinst ihre Kollegin an und dann mich.

Fassungslos starre ich sie an, warte darauf, dass Ihr Gesichtsausdruck sich verändert, neutral wird. Doch von Neutralität keine Spur. Glucksend vor Verachtung schaut sie mich an, wackelt dazu mit dem Kopf – so, als ob sie erst aus dem einen, dann dem anderen Ohr etwas herausschütteln wollte.

Sie reicht mir die Tickets über den Tisch. Ich starre sie noch zwei Minuten an, wache dann auf aus meinem Überraschungskoma und mache auf dem Absatz kehrt.

„Die Elsässer sind halt am Anfang ein bisschen zurückhaltend und abweisend“, erklärt mir eine Einheimische später in der Kaffeepause. „Aber wenn sie erstmal auftauen, sind sie super.“

„Hmm-mm“, meine ich und nippe an meinem Latte Macchiato – noch immer leicht traumatisiert.

L.

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About Lisa (ich selbst)

Huhu! Ich bin Lisa. Seit 2005 wohne ich nun im schönen, kleinen Paris. Schön ist's hier, nette Leute gibt's und viele lustige Dinge passieren. Aber - lest doch einfach selbst... L.