Ein Glück hatte ich die Bettwanzen…

…vor der partiellen Ausgangssperre in Frankreich. Und bevor nicht systemrelevante Betriebe vorerst schließen mussten. Wie zum Beispiel Kammerjäger.

Meine Oma hätte da gesagt – man soll den Tag ja nicht vor dem Abend loben.

Ich erinnerte mich noch gut an die Männer in den weißen (fast-)Raumanzügen Mitte Februar. „Machen Sie sich keine Sorgen, Mademoiselle“, sagte der ältere, etwas legerer gekleidete, durch seine Atemschutzmaske zu mir, während der jüngere mein gesamtes, gerade neu erstandenes (und frisch renoviertes!) Appartment vor vorne nach hinten unter Gift-Wasser setzte. Schadet dem frisch abgeschliffenen Boden und den frisch gestrichenen Wänden ja zum Glück gar nicht. „Was wir hier versprühen, ist nicht so giftig – das war früher viel schlimmer! Da konnte man während des Eingriffes kaum atmen.“

Dann empfahl er mir, auch meine FFP2-Maske aufzuziehen (die noch von den Gelbwesten-Demos in meinem Schrank lag), bevor er zusätzlich zu der Giftflut in jedem meiner zwei Zimmer eine kleine Giftgasbombe zündete.

„Sie dürfen da jetzt vier Stunden nicht rein. Dann lüften Sie und können aber heute nacht schon wieder drin schlafen – alles kein Problem, das ist nicht so giftig! Morgen wischen Sie drüber und nächste Woche kommen wir für die zweite Runde – um auch die Eier zu töten“, sagte der Mann zuversichtlich draußen vor meiner Wohnungstür, während er sich den Raumanzug auszog. Dann erzählte er mir beschwingt von anderen Kunden, die sich monatelang mit Bettwanzen herumschlagen, sie nicht wegkriegen, die Matratzen wegschmeißen müssen, weil die schon ganz schwarz vom Bettwanzenbefall waren (und nein, Ihr wollt das jetzt nicht googlen…).

Die kleinen Gesellen waren während einer Reise nach Kuba auf mich oder mein Gepäck draufgesprungen. Wollten mal die Welt sehen.

Mit leicht mulmigem Gefühl schlief ich dann also dadrin, in dem Bettwanzen-Schlaftfeld. Nach der ersten Giftgas-Attacke, und dann in der zweiten Woche, nach der Operation Bettwanzen-Eier. Jedesmal spielten meine Schleimhäute verrückt, bekam ich Schnupfen, Husten, Kopfschmerzen, fragte mich, ob das sich Zeug wohl irgendwann aus meinem Appartment verdünnisieren würde. Naja. Aber wenigstens lohnte sich das Ganze ja – dann waren sie ja endlich weg.

Acht Wochen später.

Dienstag Nacht, vor genau fünf Tagen, 1h30 morgens. Mein linker Ringfinger fängt so an zu schmerzen, dass ich davon aufwache. Ich mache das Licht an, suche nach Mücken, sehe keine, zucke mit den Schultern, lösche das Licht, schlafe weiter.

2h30. Mein rechter Ellbogen fängt irre an zu jucken. Wieder wache ich auf. Ich mache das Licht an, sehe den Riesenflatschen, der alles andere als wie ein Mückenstich aussieht. Ich ziehe verzweifelt den Kopf aus dem Sand und mir mein imaginäres Rambo-Kostüm an.

Bett abziehen, inklusive gummi-artiges Schutzbettlaken, Schlafanzug aus, alles, samt Bettdecke und Kopfkissen, in große Plastikmüllsäcke. Dann Gift auf dem und rund um das Bett versprüht (ein Glück hätte ich mir eine Flasche des reizenden Produkts zur Erinnerung gekauft), sogar auf dem Schlafsack, in dem ich jetzt schlafe, auf meinen Beinen und Armen. Lieber an Vergiftung sterben als von den fiesen Wanzen zum Frühstück verspeist zu werden.

Den Rest der Nacht träume ich davon, mich mit meiner Apothekerin über irgendwas zu streiten. Immer noch besser als der Alptraum beim ersten Mal – da hatte ich mich in ein schreckliches Monster verwandelt mit lauter ganz ekelhaften Beulen und Krebsarmen, die aus meinen Knien kamen. (In Anlehnung an den Film „District 9„)

Etwa vier Stunden später wache ich auf, stelle nur halb erleichtert fest, dass ich nicht wieder gestochen wurde. Ich fange an, alles Bettzeug wild zu waschen, mich auch, mehr Gift aufs Bett und drumherum, die Schränke ausräumen, auswaschen, etwas Gift rein. (Auch wenn das höchstens provisorisch sein kann. Wenn wirklich noch andere Wanzen da sind, müsste ich jetzt alles waschen – zumindest all das, was in den Schubladen unter meinem Bett verstaut ist)

Als ich die Kammerjäger anrufe, stelle ich erleichtert fest, dass sie, ja, eigentlich geschlossen sind, aber dennoch einige Giftgasattacken durchführen. Die Wanzen scheren sich ja nicht um den Hausarrest (bzw. sie freuen sich bestimmt über die Gesellschaft). Außerdem hat Frankreich ja vor kurzem den Bettwanzen-Notstand ausgerufen.

„Ja“, sagt die Frau, die normalerweise den Laden bemannt, und vor der ich beim ersten Befall erstmal in Tränen ausgebrochen war (meine Mutter hatte damals noch gesagt – „Lisa, Du hast doch keine Bettwanzen!“ Wait for it, Mama). „Da ist vielleicht eine Bettwanze aufgewacht und hat noch einmal losgelegt. Aber Sie haben gut reagiert – vielleicht ist sie jetzt weg, vor allem, wenn sie Sie nicht mehr gestochen hat.“

Wir einigen uns darauf, dass ich erstmal noch ein paar Tage warte, bevor ich die Kavallerie anrücken lasse.

Tatsächlich wurde ich seitdem nicht mehr gebissen. Die zwei Stiche schwellen langsam ab.

„Bettwanzen können bis zu zwei Jahre nach einem Eingriff noch aufwachen – vor allem, wenn die Eier irgendwo in einer Ritze waren, an die man nicht herangekommen ist“, hatte die Frau am Telefon hinzugefügt.

Das Giftspray steht jetzt neben meinem Bett. Der imaginäre Ramboanzug liegt bereit.

I will not be defeated.

L.